Über den Lichtern

An dieser Stelle muss ich den neuen Eintrag mal etwas anders einleiten. Denn gerade sitze ich mit einem Milchshake und meinem Laptop auf dem Dach eines 32 stöckigen Hochhauses und kann auf das nächtliche Liuku herunterblicken. Kleine gerbe Lichter fahren mit leisem Gebrumm umher während große bunte Lichter die Fassaden der Hotels und KTV’s beleuchten. Die Neonröhren werden zusammen mit den Starnen in der Strömung des Nujiang reflektiert, ab und zu kann man ein paar zweibeinige Schatten durch die Straßen huschen sehen. Die Geräusche dringen nur gedämpft herauf. Von hier oben wirkt alles klein und unbedeutend.
Wenn ich hier also keine Inspiration zum Schreiben finde, dann weiß ich auch nicht…

 

Das besagte Hochhaus ist eines der „TwinTowers“ (So heißen die hier nun mal) und einer meiner neuen, absoluten Lieblingsplätze, sei es bei tag oder bei Nacht. Während man in Deutschland wohl auf mindestens ein Dutzend Warnhinweise stoßen würde (--> Zutritt verboten --> Achtung, Lebensgefahr --> Hier bitte nicht springen…), ist das hier für niemanden ein Problem. Selbst nicht für die Torwächter, die mich beim dritten Vorbeischneien gefragt hatten, ob ich hier Freunde von mir wohnen würden. Allgemein gibt es in China deutlich weniger Regulierungen als in der Heimat; man hält sich im Allgemeinen einfach an den gesunden Menschenverstand. Doch zurück zum Thema.
Ic wollte schon lange mal auf eines dieser Hochhäuser, man kennt mich ja – ich habe eine Schwäche für Höhen und Flachdächer. Aber keine Angst, ich versuche nicht, von einem zum anderen zu springen. Inzwischen komme ich ab und zu vorbei, um ein Buch zu lesen oder einfach von einer etwas anderen Perspektive ausspannen zu können.

 

Doch dieser Platz ist nicht mein einziger neu entdeckter Lieblingsort. Da es an sonnigen tagen nun richtig heiß wird, habe ich lange zeit auf die Öffnung eines der Freibäder gewartet. Als es dann endlich soweit war, gab es kein Halten mehr für mich und seitdem gehe ich ungefähr dreimal die Woche dort Schwimmen. Doch nicht nur die allgemeine Hitze zieht mich dort hin. Die ganze Anlage ist wunderschön gestaltet: zum Beispiel wachsen Ranken, die mehr aus Blüte als Blatt bestehen, an den Beckenrändern und dem Pavillon. Das Wasser dort ist nicht gechlort – es ist noch nicht mal Leitungswasser. Stattdessen wird ein Teil des Bergwassers als dem Zulauf mit dem Wasserfall in das Schwimmbecken umgeleitet. Dadurch ist das Wasser dann zwar nicht ganz so sauber und man fühlt sich eigentlich eher wie im See, aber das ist für mich als Ostseekind ja auch nicht schlimm. Außerdem kann man dort ein paar nette neue und alte Gesichter antreffen. Viele meiner Schüler habe ich schon antreffen und frische Kontakte schließen können. Übrigens sei an dieser Stelle erwähnt, dass wirklich viele Chinesen gar nicht schwimmen können. Da diese aber trotzdem nicht auf den Plantschspaß verzichten möchten, tragen sie halt Schwimmflügel. Folglich siht man nicht seltenn einen erwachsenen Mann mit orangen Gummiringen um die Arme ins Wasser hüpfen. Frauen bleiben dabei übrigens eher im Nichtschwimmerbereich. Für meine deutschen Augen war das anfangs schon noch etwas ungewöhnlich, allerdings gewöhnt man sich echt schnell an alles, wenn man regelmäßig Menschen in Schlafanzug und Badelatschen einkaufen gehen sieht.

Noch eine kurze Anekdote zum Schwimmbad, dann höre ich auch davon auf: Als ich heute davor stand und gewartet habe, dass es aufmacht (es öffnet erst um 11:00, welch Frechheit), sprach mich ein Mann an. Dieser wusch dort gerade sein Auto, mit über dem Bauch hoch gerolltem T-Shirt, das ist sehr in Mode. Nach ein paar ausgetauschten Worten fragte er mich, wie alt ich denn sei. Nun kann ich inzwischen mir 二十, also 20 antworten, was ich auch gleich tat. Daraufhin fragte er mich interessiert, ob ich denn eine Ehefrau hätte. Etwas perplex verneinte ich die Frage; selbst für chinesische Verhältnisse ist 20 noch ein sehr frisches Alter zum Heiraten. „Nun“, meinte er dann, „hier gibt es gute, schöne Lisu-Frauen…“. Es wurde zwar schon des Öfteren (mehr oder weniger ernsthaft) versucht, mich mit einer Chinesin zu verkuppeln, aber bis zur Heirat bin ich vorher noch nie gekommen. Auch mal eine neue Erfahrung.

 

Eben gerade hatte ich kurz meinen Geburtstag angesprochen; dieser war, abgesehen vom Abend, nicht sehr besonders, was jetzt aber auch nicht soo schlimm ist. Doch in den späteren Stunden durfte ich dem Abschluss des zweiten Kulturfestes unserer Schule beiwohnen. Diesmal ging es über 4 Tage, aber das hat eigentlich vor allem viel Freizeit bedeutet. Es gab nur drei Aufführungen: den Dance-contest“ zum neuen Morningdance, ein Gesangswettbewerb und den Abschluss mit Tanz und Musik. Zusätzlich gab es an zwei Tagen noch einen kurzen Englischwettbewerb beziehungsweise Spiele, bei denen wir sogar mithelfen durften. Besonders erwähnenswert ist aber vor allem der letzte Abend, bei dem jede gruppe von Schülern das machen durfte, was sie wollten. Von Comedy bis Hip-Hop. Sehr schön fand ich dabei wieder einen der traditionellen Regenschirmtänze. Zwar etwas überdramatisch (es hatte etwas mit Regen zu tun, wer hätte es gedacht) aber hübsch anzusehen. Es gab ein paar tolle Lieder, aber der letzte Act hat mich am meisten umgehauen. Während man allen anderen schon noch angesehen hat, dass sie von Schülern gemacht wurden (mal abgesehen von den Kostümen), hätte man den letzten auch für den einer professionellen Gruppe halten können. Der tanz war eine kraftvolle und energiegeladene Mischung aus Kampfsport, Ballett und Zeitlupe. Leider kann ich das wirklich nicht gut beschreiben, ich habe es gerade zehn Minuten lang versucht, meine kläglichen Bemühungen jedoch löschen müssen. Vielleicht finde ich den Namen dieser Art zu Tanzen ja noch heraus, dann werde ich den hier ergänzen.

Auch sehr bemerkenswert waren dabei die Outfits, die sich die Klassen gekauft haben, um innerhalb derer einheitlich auftreten zu können und dabei die Schuluniformen mal liegen zu lassen. Es gab gelbe DHL T-Shirts und solche von Ferrari oder Nike. Besonders begeistert hat mich allerdings eines, bei dem das Dialogfenster abgedruckt war, das sich öffnet, wenn man am PC auf eine Mail rechtsklickt. Dazu mal ein kleines Foto:

An dem Abend gab es eigentlich nur eine Sache, die mich extrem genervt hat: Die Insekten. Und damit zum nächsten Thema dieses Blogeintrages: Den Fliegeviechern Liukus. Man möge an dieser Stelle übrigens die Qualität meiner Überleitungen würdigen – das kann eigentlich nur am örtlichen Quell der Inspiration liegen. Leider muss ich diesen jetzt jedoch auch schon verlassen, sonst komme ich nicht mehr in unsere Schule rein, ab 24:00 ist das Tor dicht.
Also man stößt hier schon des Öfteren auf normales Getier wie Mücken oder Kakerlaken. Die sind zwar auch schon nervig, aber bei weitem nicht so schlimm wie die Plage, mit der wir nun seit Anfang April kämpfen müssen. Wie aus dem Nichts kommen jeden zweiten oder dritten Tag riesige Horden von Insekten über die Stadt, die in den Dämmerungsstunden vom Licht angezogen werden. Von einer Minute auf die andere fangen diese Viecher, die an eine Mischung aus Ohrenkneifer und Libelle erinnern, an, die Lichter zu verdunkeln. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn es sind so viele, dass einige der Scheinwerfer draußen nicht mehr wirklich durch sie hindurch scheinen können. Und dabei ist dieses Getier so unglaublich dämlich, dass man sich zwangsweise fragen muss, wie eine solche Spezies überhaupt fortexistieren kann – vermutlich nur aufgrund ihrer unglaublichen Anzahl. Denn es kommt immer wieder vor, dass sie in einen Spalt oder Lücke fliegen, aus dem sie dann nicht mehr rauskommen oder sie sich die Flügel abreißen. Diese hängen nämlich nur ganz dünn am Körper fest, sodass man, wenn man sie mit einem Handschlag verscheuchen will, danach vier weitere dünne Flügelchen im Zimmer verstreut hat. Leider hält sie das aber auch noch nicht davon ab, denn danach krabbeln sie einfach weiter durchs Zimmer beziehungsweise klemmen sich wieder in irgendeiner Spalte ein. Wirklich eine unglaublich nervige Angelegenheit.
Die anderen Insekten sind eher beeindruckend und zum Glück auch nicht ganz so zahlreich. In letzter zeit kommen viele, bunt schillernde und nicht zu kleine Käfer aus ihren verstecken gekrochen und fangen an, in der Gegend herumzufliegen. Weiterhin kann man ab und du Heuschrecken begegnen, welche es durchaus auf die beachtliche Größe von über 10cm bringen können. Doch am meisten beeindruckt hat mich eine riesige Motte, die für ein paar Tage über unserer Kantine hing. Leider kann man es auf dem Bild nicht so ganz erkennen, aber sie müsste mindestens eine Spannweite von 30cm gehabt haben. Und dazu noch ein ziemlich hübsches Tier.

UPDATE: Heute (13.06.) habe ich entdeckt, dass wir ein Fliegengitter an unserem Fenster haben. Nach fünf Monaten in der gelieben Garage. Aber Hey - besser spät als nie :D

 

Aber genug davon, zuletzt möchte ich noch von einem kleinen Ausflug mit unserer Myanmar-Klasse berichten. Während es unterrichtstechnisch nicht viel Neues zu berichten gibt, konnten wir (Also Krisi und ich) an einem Wochenende immerhin mit zwei unserer Klassen einen kleinen Ausflug zum 青山公园-Park wo es dann neben tausenden Fotos mit uns ein Shaokao, also Grillen, gab. Während die Schüler also am bruzzeln waren, hatte ich mal kurz etwas weiter oben bei den Lehrern nachgeguckt, was die denn so machen. Sie waren dabei, ein bekanntes chinesisches Kartenspiel zu spielen, das vielleicht ein klein wenig an Skat erinnern könnte. Da ich dieses schon während meines Urlaubes gelernt hatte, konnte ich auch einige Runden mitspielen, was die Lehrer dann auch sehr lustig fanden. Da es hier in einer Männerrunde aber nicht ohne Alkohol geht, musste der Verlierer trinken – als etwas später noch mehr Lehrer vorbeikamen, wurde dann auch das anspruchsvollere Spielen sein gelassen (welches man aber auch nur zu dritt tun konnte) und zu einem Trinkspiel übergegangen. Wozu erzähle ich das alles? Nun, der Klassenlehrer der Myanmarklasse lag etwa eine Stunde später wortwörtlich unter dem Tisch und wurde von einigen Schülern betreut. Was mir dabei unglaublich seltsam vorkam, war für sie wohl ganz normal. Naja…

So, jetzt gehe ich gleich mal was essen und danach – wer hätts gedacht – ins Schwimmbad. Dieser Eintrag hat etwas länger auf sich warten lassen, doch als Begründung dafür möchte ich mich an dieser Stelle aus meinem letzten Artikel zitieren (ja, ich weiß, das ist jetzt schon ziemlich eingebildet): es „passiert im Moment aber nicht so viel berichtenswertes“. Jetzt sind doch ein paar kleinere Geschichtchen passiert, aber auch bis zum nächsten Mal könnte es noch ein bisschen dauern.
Also bis dann
:)

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Paps (Samstag, 25 Juni 2016 10:09)

    dein Bericht liest sich "köstlich". Vielen Dank für deine witzigen Beschreibungen, die für dich vielleicht eher unbedeutend erscheinen, aber für uns Nordlichter sehr interessant sind.
    Übrigens: deine "Motte" ist ein Atlas Seidenspinner, mit seiner Flügelspannweite bis 30cm einer der größten Schmetterlinge der Welt
    noch 9 Wochen... Carpe diem !