Halbzeit

Heute lag ich im Bett und dachte mir, ich gucke mal nach, wie lange ich eigentlich schon hier bin. Am 14. Oktober ging die Reise los, jetzt ist der 23. März, das macht 162 Tage. Dann kam der Gedanke, wie lange ich eigentlich noch hier sein würde: 323 – 162 = 161. Wenn man jetzt noch einen Tag für die Anreise anzieht (der Rückflug muss nicht abgezogen werden, da fliegen wir entgegen der Erdrotation), kommt man auf das Ergebnis, dass gerade genau die Hälfte meines Freiwilligenaufenthaltes ist.
Eigentlich wäre jetzt ein „Halbzeit-Special“ dran, allerdings fällt mir da gerade nichts Gutes ein; falls ihr als eine nette Idee für eben dieses hättet, schreibt sie mir gerne als Kommentar auf diesen Eintrag.

Stattdessen bekommt ihr jetzt erstmal einen kurzen Bericht über den letzten Monat: Da war noch das Zwischenseminar und etwas später ein Haufen ehemaliger Freiwilliger, die zu Besuch nach Liuku gekommen sind. Außerdem hat endlich der Unterricht für uns wieder angefangen.

Fangen wir mal mit dem Zwischenseminar an. Von weltwärts sind Richtlinien zu Seminaren vorgegeben, sodass man mit Vorbereitungs- Nachbereitungs- und Zwischenseminar auf eine bestimmte Anzahl von Tagen kommen muss. Bei letzterem geht es darum, dass sich möglichst alle Freiwilligen an einem Ort treffen sollen, um ihre Erfahrungen auszutauschen und sich auf die nächste Hälfte des Freiwilligendienstes einzustellen.
In diesem Jahr hat es glücklicherweise geklappt, alle 30 Freiwilligen zu versammeln – diesmal in Pu’er. Dort sollten wir in den Schulen bei den Frewilligen vor Ort unterkommen. Also habe ich mich erneut bei Paula und Joana eingemietet, zusammen mit einem Haufen JingGangShan-er. Insgesamt schliefen wir zu siebt in der Wohnung – das war jedoch kein Problem, da diese genug Platz für alle geboten hat. Allerdings haben wir uns auch kaum dort aufgehalten, denn wir hatten einen sehr vollen Zeitplan. Während der Seminarzeiten haben wir uns in einem Klassenraum der Pu’er YiZhong „eingemietet“, wo aufgrund der Ferienzeit, abgesehen von den Abschlussklassen, keiner da war. 

Wir hatten fünf Seminartage, an denen wir unterschiedlichste Themen in einem Klassenraum der Pu’er YiZhong behandelten.
Am ersten Tag besprachen die Freiwilligen das Lehrer-Sein: Was sind ihre Aufgaben, inwieweit konnten sie diese durchsetzten, was gab es für Probleme, wie könnten zukünftige Stunden aussehen…
Am zweiten Tag haben sie über das Fremdsein gesprochen, verschiedene Kulturen und den Umgang mit diesen.
Am dritten Tag haben sich mit ihren Gruppen (und sich selbst) auseinandergesetzt: Einerseits mit der kleinen Stadtgruppe, andererseits mit der Großgruppe aller Freiwilligen in China.
Der vierte Tag war China gewidmet. Es ging dabei vor allem um Gegensätzlichkeit, Vielfalt und Einheitlichkeit im Vergleich zu dem Heimatland.
Am fünften und letzten der Seminartage haben sie sich mit den Projekten, außerdem der Gegenwart und Zukunft von Baumhaus auseinandergesetzt.
Und am sechsten Tag durfte die Gruppe ruhen, denn sie hatten ihre Arbeit vollbracht. Zumindest mehr oder weniger, denn es stand noch ein kleiner Ausflug in die umliegenden Teeberge und anschließendes Grillen auf dem Plan. Außerdem hatte ich mit ein paar anderen noch einmal das Teehaus besucht, in dem ich die angeregte Diskussion über Deutschland hatte. Dieses Mal blieb sie uns allerdings glücklicherweise erspart.

 

Aber genug von der Auflisterei. Die Themen und die Art der Bearbeitung dieser hat mir wirklich gut gefallen. Das Programm war zwar ziemlich voll gestopft, aber fast alles davon war gut und sinnvoll für mich. Gleichzeitig war das ganze Seminar unglaublich merkwürdig für mich; 32 Deutsche in einem Raum (und auf den Straßen), die sich auf Deutsch mit deutschen Lehrmethoden auseinandersetzen – ich habe mich wieder wie in der Schule gefühlt. Außerdem war mir zwischendurch kurzzeitig nicht mehr bewusst, dass ich mich in China befinde. Der Kontrast, der zwischen unserem Klassenraum und dem Rest der Schule bzw. Stadt herrschte, war sehr abstrakt.
Aber es war wirklich toll, die Freiwilligen aus den anderen Städten mal wieder zu treffen. Wir konnten viele unterschiedliche Eindrücke austauschen, da sich das Leben in den drei verschiedenen Provinzen schon sehr voneinander unterscheidet.

Die Zeit in Pu’er war dann leider auch viel zu schnell wieder vorbei. Doch daheim in Liuku erwarteten uns über die Zeit noch ein paar andere Menschen aus der Heimat: Es waren nacheinander vier ehemalige Freiwillige zu Besuch gekommen. Eine Freiwillige aus der ersten Generation, also von vor sieben Jahren, hat bei uns genächtigt und sich in der Stadt immer wieder darüber gewundert, vie viel sich doch verändert hätte. Das witzige dabei ist, dass selbst wir nach 161 Tagen das an manchen Stellen bemerken. An ein paar Ecken sind riesige Supermärkte aus dem Boden gesprossen, an anderen werden Gebäude abgerissen und neu gebaut. An den Berghängen wird momentan eine zentrale Verbindungsstraße an die Außenwelt gebaut; Wo an der Brücke in den ersten Wochen noch Baukräne gestanden hatten, fahren jetzt bereits Laster umher. Mal schauen, vielleicht komme ich ja in fünf Jahren wieder nach Liuku, um zu bemerken, dass es inzwischen einen Flughafen auf einer Bergspitze und ein Stromkraftwerk am Nujiang gibt (Tatsächlich ist beides geplant).
Außerdem war da noch eine Freiwillige aus der sechsten und zwei aus der darauf folgenden Generation zu Besuch. Mit letzteren bin ich an einem Sonntag nach PiHe gefahren, einem kleinen Kaff etwa drei Fahrtstunden nördlich von Liuku. Dort konnten wir zum Beispiel die Schule bestaunen, an der einer unserer Projektleiter vor knapp drei Jahren eingesetzt war. Dabei war es ganz wichtig, dass wir auch dem „flying stone“ unsere Bewunderung zollten. Dieser steht zwischen ein paar Gebäuden – zumindest tut er dass, nachdem er dort eines Morgens auftauchte. Dort war von einem Tag auf den anderen ein tatsächlich recht beachtlicher Findling aufgetaucht. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Es ist ein fliegender Stein. An dieser Stelle hat er es sich erstmal gemütlich gemacht, vielleicht wird er am nächsten Morgen aber auch schon wieder auf dem Rückflug nach wohin-auch-immer sein. Dabei war der Stein so nett, bei seiner Landung niemanden zu verletzen oder gar aufzuwecken. Sehr nett von ihm. Oder, wie die Einheimischen es sagen, „ein Wunder“. Es ist übrigens gänzlich ausgeschlossen, dass der Stein vom direkt anliegenden Berg heruntergerollt ist, das wäre ja zu einfach.
Aber natürlich haben wir uns nicht nur große, freundliche Steine angeguckt, sondern sind auch nach oben auf den Berg marschiert, wo wir eine wunderschöne Aussicht über das Nujiang-tal hatten. Außerdem habe ich mal wieder etwas Geld dort gelassen, diesmal bei einer Teeplantage auf 2000m Höhe, sodass ich nun auch
怒江茶 (Tee aus Nujiang) in meinem Sortiment habe.

Eines Nachmittags nach der Schule hat mich außerdem einer der Ehemaligen zu einem Zufluss unseres wilden Flusses mitgenommen. Wir gingen einen wunderschönen Weg an dem Gewässer entlang, der immer mehr zu einer kleinen Klamm wurde. Quasi die kleine Tigersprungschlucht Liukus. Allein dieser Pfad war so schön, wie ich es auf dieser Ecke gar nicht möglich gehalten hätte. Das wurde dann aber noch meilenweit von dem bezaubernden Wasserfall getoppt, der sich nach etwa 10m freien Falls in ein größeres Sammelbecken ergoss. Da konnte ich dann auch nicht lange an mich halten und etwas später sprang ich ins Wasser. Da der Zufluss den Ursprung in einer Bergquelle hat, war das Wasser wirklich arschkalt. Trotzdem hat es sich absolut gelohnt; tatsächlich war das mein erster Schwimmgang unter einem natürlichen Wasserfall. Da die Luft außerdem im Moment richtig warm ist, waren wir halbwegs schnell wieder trocken. Ein bisschen blöd war dann nur, dass ich kurz danach meine bewegungslegastenische Seite hab raushängen lassen – und seitlich zurück in den Fluss gefallen bin. Der Rückweg war folglich von schmatzenden Schuhen und ab und zu etwas Gelächter der anderen beiden geprägt.

Doch auch die Ehemaligen mussten irgendwann wieder gehen und inzwischen hat sich (endlich) unser normaler Schulalltag eingestellt.
Mit diesen Worten mache ich mich mal auf zum Essen und danach noch ins Kino.
ZaiJian und bis denn
:)

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Paps (Samstag, 26 März 2016 10:17)

    Hier meine Ideen für ein Halbzeitspecial :
    - wurden deine Erwartungen erfüllt
    - was war gut, was schlecht, was soll anders/besser werden
    - was willst du in der 2. Hälfte noch sehen, erleben, verstehen und lernen
    - hast du dich nach 160 Tagen China verändert
    ...
    liebe Grüße