Sieben Tage Feuerwerk

Das Chinesische Neujahrsfest, auch Frühlingsfest genannt, ist wohl die wichtigste Feierlichkeit der Chinesen. Anlässlich zu diesem kommt die ganze Großfamilie zusammen und leitet das neue Jahr ein – und das eine ganze Woche lang!
Ich wurde eingeladen, diese Woche bei der Familie eines Schülers zu verbringen, so konnte ich das Fest und alle zugehörigen Bräuche direkt miterleben.

Da chinesische Feiertage sich nicht nach dem julianischen, sondern nach dem eigenen, traditionellen richten, fängt das hiesige Neujahr später als in der westlichen Welt an. In diesem Jahr fiel der Jahreswechsel (in dem von u8ns verwendeten Kalender) auf den achten Februar. Damit sollten die Feierlichkeiten bis zum 14. andauern.
Den Schüler, der mich einlud, kannte ich eigentlich nur ganz flüchtig. Während wir zu Weihnachten in Pu’er waren, hatte ich ihn dort an der Mittelschule kennen gelernt, in der ich untergekommen war. Eigentlich war ich gerade nur dabei, etwas über das Schulgelände zu streunern, als mich ein paar Schüler gebeten hatten, mal in ihre Klasse zu kommen. Denn da sie eine Zhong’er (9. Klasse) sind, haben diese keine Englischstunden bei Freiwilligen – das könnte sie von den Abschlussprüfungen ablenken. Also habe ich sie ein bisschen von ihren Hausaufgaben abgehalten. Dort hatte ich ein kurzes Gespräch mit besagtem Schüler (den ich im folgenden ChunGe nennen werde) und habe den Schülern am Ende noch mein WeChat-Account gegeben.

Ein paar Textnachrichten und zwei Wochen später kam dann die Anfrage von ihm, ob ich ihn und seine Familie zum Frühlingsfest besuchen wolle. Kurz entschlossen sagte ich zu und ungefähr 1½  Monate später trennte ich mich von meiner vorherigen Reisegruppe und machte mich alleine weiter auf den Weg nach Lancang 澜沧. Diese Stadt liegt westlich von Pu’er, ist wunderschön und momentan von zwei Freiwilligen zum ersten Mal besetzt. Die Fahrt von Lijiang aus dauerte fast zwei Tage mit Übernachtung, dementsprechend war dann erstmal ein Tag Pause angesagt. Doch danach wurde ich von ChunGe und seinem Vater eingesammelt, um zu Freunden in der Nähe zu fahren, wo anlässlich des drohenden Jahreswechsels traditionsgemäß ein Schwein geschlachtet wurde. Das Spektakel an sich verpassten wir leider, aber dafür kamen wir zum Glück noch rechtzeitig zum Essen. Direkt danach ging es dann auch schon zu deren Zuhause, wo ich zwei Nächte lang blieb, bis wir dann nach Shangyun fuhren, wo das Haus des Großvaters steht. Dort versammelten sich alle Kinder, Enkel und ein paar Freunde des Opas von ChunGe, sodass tagsüber eine ganze Menge Leute auf dem recht kleinen Grundstück versammelt waren. Des Nachts ruhten wir im Haus des Onkels, welches im Gegensatz zu dem der Großeltern in der direkt Stadt liegt.

Da das Feuerwerk bekanntlich seine Herkunft in China findet, überrascht es wohl nicht besonders, dass die Nächte in Shangyun vom Leuchten und Knallen diverser pyrotechnischen Spielereien erfüllt war. Das chinesische Feuerwerk unterscheidet sich nicht stark von dem, welches wir in Deutschland kennen. Es werden nur ein paar mehr (und vor allem lautere) Böller gezündet und der Spaß ist umgerechnet billiger. Da die Familie außerdem Kontakte zu Feuerwerksverkäufern hat, haben auch wir einige Raketen, Batterien, römische Lichter, Knaller und vor jedem Essen eine Böllerkette gezündet. Und wer mich kennt, wird wissen, dass ich mit vollstem Eifer dabei war. Es wurde vor allem in der Neujahrsnacht, also vom siebten auf den achten Februar, viel geknallt, aber auch in den darauf folgenden Nächten bis zum 14. wurde einiges in den Himmel geschossen.

Doch es gibt auch einige ruhigere Traditionen. So sind wir am ersten Morgen des neu angebrochenen Jahr des Affen ein einer kleineren Runde zu einem buddhistischen Tempel der Daizu-Minderheit aufgebrochen. Dort lief ein Gottesdienst (in Ermangelung eines passenderen Wortes werde ich ihn so nennen) wie folgt ab: zuerst zündeten wir ein paar Kerzen an und gaben dem Tempel nach dreimaligem Kniefall und Verbeugen ein bisschen Geld, außerdem „opferten“ wir einigen Reis an herumstehende Statuen. Danach setzten wir als kleine Gruppe uns in einen kleinen Kreis um eine mitgebrachte Schüssel, sodass im ganzen Raum viele kleine Grüppchen kreisförmig versammelt waren. Während wir den Gesängen eines Anwesenden Dai-Mönches lauschten, goss jeder auf ein bestimmtes Wort hin ein bisschen Wasser aus mitgebrachten Kannen in die Schale. Der gesamte Gottesdienst war ganz anders, als ich mir ihn vorgestellt hätte, aber gerade dadurch echt interessant.
Eigentlich wollten wir außerdem noch, neben einigen Besuchen bei Freunden, angeln gehen. Allerdings fiel ich bei dieser Aktion leider aus, da mich eine fiesere Erkältung gepackt hatte. So habe ich dann auch Bekanntschaft mit diversen chinesischen Medikamenten gemacht: einerseits Kräutermischungen und Tees von ChunGe’s Vater, andererseits mit Pillen und Tütchen mit mysteriösem Pulver von seinem Onkel. Ich möchte auch gar nicht wissen, was da alles für Wirkstoffe in welchen Konzentrationen drin waren – aber es hat geholfen und nach 1½ Tagen einigermaßen auf dem Damm. Um genau zu sein, war ich wieder so fit, dass ich ein bisschen in einer alten Fabrik in ShangYun rumklettern konnte. Diese war ehemals eine Zuckerraffinerie und wurde in den 70-ern stillgelegt, sodass sich die Natur inzwischen einen großen Bereich des Geländes zurückerobert hatte. Dem apokalyptischen Charme der ganzen Fabrik mit den durchgerosteten Streben, den zerbrochenen Fenstern und zum Teil halb eingestürzten Gebäuden konnte ich einfach nicht lange widerstehen. Dem entsprechend bin ich, zusammen mit ChunGe, auf Erkundungstour in und auf die vielen Gebäude gegangen.

Doch eigentlich besteht das Frühlingsfest vor allem aus einem: dem Essen. Sei es mit Freunden, bei denen man mal vorbeischneit, oder des Abends im Kreise der Familie. Dabei werden die ausgefallensten Speisen, vor allem aber Fleisch, serviert: So hat Krisi zum Beispiel Flughörnchenhirn probiert, eine chinesische Freundin hat mir von einer Haifischhautsuppe erzählt, deren Kochzeit drei Wochen lang war.
Auch ich habe einige interessante Gerichte essen dürfen – da die Familie aber eher dörflich gelebt hat, waren keine (für chinesische Verhältnisse) allzu exotischen Speisen dabei. Dennoch war da zum Beispiel das rohe Blut, was gar nicht schlecht schmeckte. Allerdings war es für mich eine große Überwindung, das dunkelrote, wabbelige Zeug in meinen Mund zu befördern. Deshalb blieb es dann auch bei zwei höflichen Happen. Außerdem war da das - diesmal zum Glück gekochte – Schweineauge, welches mich zuerst leicht vorwurfsvoll aus der Reisschüssel anblickte, in die es mein Gastgeber geschaufelt hatte. Die Konsistenz war überraschend fest, es war entgegen meiner Vorstellung nicht so, als würde man in eine aufplatzende Weintraube beißen. Der Geschmack erinnerte eigentlich an ganz normales Schweinefleisch.
Dann war da außerdem noch Gänsemagen- und Herz, die beide deutlich zu zäh waren.

Da die Großeltern selbst Hühner und Gänse auf ihrem kleinen Hof gehalten haben, wurden während der Woche ein paar davon geschlachtet. Das wollte ich mir dann auch nicht entgehen lassen. Also war es mir überlassen, einem der Hühner die Kehle aufzuschneiden, zu rupfen und auszunehmen. Das ganze war für mich viel überraschenderweise viel einfacher, als ich gedacht hätte. Und beim Essen hatte ich eine ganz andere Beziehung zu dem Fleisch, ich konnte es viel mehr wertschätzen. In China esse ich sowieso sehr wenig Fleisch, eigentlich nur noch, wenn ich von jemandem dazu eingeladen werde. Und jetzt hatte ich noch eine persönliche Beziehung zu dem Tier – Ich hatte es getötet, also war ich ihm als Gegenleistung quasi etwas schuldig.

Bei all diesen Erlebnissen (und noch ein paar mehr) muss ich vor allem noch anbringen, dass mich die Familie unglaublich gut aufgenommen hat. Ich habe mich manchmal als echter Teil der Familie gefühlt, dass, obwohl ich ein Außenseiter war. Sei es die Sprache, das Aussehen oder das Verhalten: ich bin nun mal anders als die Menschen, die mich in dieser Woche umgeben haben. Doch das habe ich nicht gespürt. Ich wurde in alles eingebunden, was die Familie gemacht hat – und zwar genau so, wie die anderen auch. Das hat mir wirklich sehr viel bedeutet.

PS: Im Moment bin ich ein bisschen schreibfaul, da außer dem Blog noch einige Texte für die Projekte und Mails getippt werden mussten, ich hoffe, man merkt das dem Eintrag nicht an.

 

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